Katholische Eltern lassen ihre Kinder taufen, gehen mit ihnen in die Kirche und feiern Weihnachten und Ostern. Jüdische Eltern beschneiden ihre Söhne und lehren diese, koscher zu essen. Muslimische Eltern verbieten ihren Kindern meist, Schweinefleisch zu essen, sie feiern kein Weihnachten, dafür das Zuckerfest, und ihre weiblichen Nachkommen werden mitunter angehalten, ein Kopftuch zu tragen. Wenn Veganer allerdings ihr Kind vegan erziehen, wird dies oftmals nicht toleriert und als «Aufwingen» «extremer Ansichten» betitelt.
Die Erziehungsform beeinflusst die «Strenge» der Erziehung
Je nach Erziehungsform werden Glaubenssysteme, Gebräuche und Moralvorstellungen unterschiedliche vermittelt[1]: die autoritäte Erziehung stellt das Wort der Eltern über das der Kinder und lässt keine Diskussionen oder Mitsprache zu. Der autoritative Erziehungsstil berücksichtigt die Autonomie der Kinder, die Eltern treffen weiterhin die Entscheidungen, sind aber zu Diskussionen und Kompromissen bereit. Beim laissez-faire Erziehungsstil darf das Kind seine Autonomie ausleben, und widerfährt keinerlei Grenzen von Seiten der Eltern.
Abhängig vom Erziehungsstil, welcher in verschiedenen Situationen durchaus variieren kann, wird das muslimische Kind selber aussuchen können, ob es ein Kopftuch trägt, der christliche Sohn «gezwungen» werden, in die Kirche zu gehen, oder es sich aber selbst aussuchen können.
Soweit, so gut – bis das Kind aber selbst bereit ist, Entscheidungen zu treffen, muss es zunächst den Sachverhalt verstehen können und fähig sein, bewusst Entscheidungen zu treffen. Bis dahin kann man wohl kaum verlangen, dass der 2-jährige Muslim Schweinefleisch serviert bekommt, obwohl der Rest der Familie dieses meidet. Dies zu verlangen, obwohl der Junge das evtl irgendwann einmal fordert, erscheint ohnehin etwas viel verlangt – warum aber verlangen wir es dann von veganen Eltern?
Ausserdem ist «Nichts tun» auch ein Statement – wenn ich mein Kind nicht taufe, obwohl ich selbst katholisch erzogen wurde, dann ist das ein Statement. Entweder, dass ich mein Kind atheistisch erziehen will, oder zum Beispiel, dass ich die Institution «katholische Kirche» nicht unterstützen möchte. Und wenn ich mein Kind nicht vegan erziehe, dann erziehe ich es – ja wie?
Das Prinzip des Karnismus
Die Psychologin Melanie Joy beschrie mit dem Begriff «Karnismus» in 2001 erstmals ein System, das den Verzehr von bestimmten Tieren als normal betrachtet[2]. Der Karnismus ist somit, wie der Veganismus, ein Glaubenssystem, welches laut Melanie Joy wie ähnliche Systeme (Sie nennt als Beispiele das Patriarchat oder den Rassismus) sich selbst erhält. Der Verzehr von tierischen Produkten wird als «normal, natürlich und notwendig» beschrieben. Durch diese Überzeugung werden Dinge gerechtfertigt, die unter anderen Umständen verurteilt werden würden – so zum Beispiel Tierquälerei (v.a. Massentierhaltung, aber auch bei Bio-Haltung werden die wenigsten Tiere artgerecht gehalten) oder das Töten von Tieren, damit wir sie essen können. «Fleischesser» konditionieren demnach ihre Kinder dazu, dass sie als Allesesser gebohren wurden, sie ohne tierische Produkte Mangelerscheinungen bekommen würden und es deswegen unvermeidlich sei, tierische Produkte zu konsumieren. Dass das Argument der «Natürlichkeit» kein Argument ist, merkt man daran, dass wir viele Verhaltensweisen, welche einst «natürlich» waren, hinter uns gelassen haben. So schlafen wir nicht mehr in Höhlen, bekämpfen eine Erkrankung mit Medikamenten und verurteilen Mord und Vergewaltigung[3].(Dass es für unsere Gesundheit nicht nötig ist, tierische Produkte zu konsumieren, habe ich hier erörtert.). Ein weiteres Argument, von Menschen die Fleisch essen ist die Aussage, dass es einfach lecker sei. Dabei ist es, je nach Kulturkreis, verpönt, bestimmte Tiere zu essen. In Europa isst man keine Hunde oder Katzen, in China allerdings schon. Das tote, gekochte Tier auf dem Teller wird objektiviert und nicht mehr als Lebewesen, das es einmal war, betrachtet.
Folglich «zwingen» Eltern, welche ihr Kind nicht vegan ernähren, ihrem Kind den Karnismus als Glaubenssystem auf – mit dem Unterschied, dass dieser das vorherrschende System ist und somit nicht hinterfragt wird.
Zum Schweinebraten eine Folge Peppa Pig gefällig?
Besonders paradox finde ich dabei, dass Kinder Tiere lieben und wir sie zu ihrer Tierliebe auch noch bestärken – beinahe alles, was Kinder tragen oder benutzen hat süsse Tiermotive aufgedruckt. Und die süssen Tiermotive machen keineswegs vor den gängigen, zum Verzehr «verpönten» Haustieren wie Hunden oder Katzen halt. Vom Fruchtjoghurt blicken uns lächelnde Cartoon-Kühe entgegen, welche fröhlich mampfend Gras fressen. Und nach dem Abendessen, zu dem es Schweinebraten gab, folgt eine Episode «Peppa Pig». Die Frage ist nun, was unsere Kinder mehr gefährdet: diese Schizophrenie, die ihren Alltag bestimmt, oder eine vegane Erziehung?
Vorbildfunktion der Eltern
Wir Eltern sind für unsere Kinder Vorbilder. Der Veganismus ist keine Religion, was ihn von den oben genannten Beispielen abgrenzt. Er ist allerdings eine ethische Grundeinstellung. Massgeblich geprägt wurde die Verbreitung des Veganismus als «Antispeziezismus» vom Bioethiker und Philosophen Peter Singer 1975 in seinem Werk «Animal Liberation»[4]. Speziezismus ist hierbei die Überzeugung, dass der Mensch über den Tieren steht und sich selbst nicht als ein Tier unter Vielen sieht. Peter Singer als Gegenzug sieht die Empfindsamkeit der Tiere als Argument genug, dass ihre Rechte und Bedürfnisse, ähnlich denen der Menschen, anerkannt werden sollten. Unterstützt wird er hierbei von weiteren Philosophen, wie dem Fernsehphilosophen Richard David Precht[5].
Eltern haben eine Vorbildfunktion, ob sie wollen oder nicht. Unsere Kinder werden davon beeinflusst, wie wir streiten. Ob wir gewaltfrei argumentieren oder ohne Rücksicht auf Verluste auf unserem Standpunkt beruhen. Sie werden davon beeinflusst, was wir arbeiten. Und sie werden davon beeinflusst, was wir essen – ob wir Gemüse und Obst zu uns nehmen, Hülsenfrüchte und Vollkorn auf den Teller kommt oder wir zu Fertiggerichten greifen. Wenn vegane Eltern Kinder bekommen, werden diese von deren Verzicht auf tierische Produkte beeinflusst werden. Selbst wenn die Eltern einen permissiven Erziehungsstil an den Tag legen, und somit ihren Kindern in diesem Fall die Wahl darüber lassen, was sie essen wollen. Und das ist gut so! (Wie wir unser Kind ernähren, kannst du hier nachlesen: Wie du dein Kind ernährst, wenn nur ein Elternteil vegan ist)
Vegane Kinder gegen Klimawandel
Unsere Kinder sind am stärksten vom Klimawandel betroffen. Das Thema Klimawandel ist komplex, und ich möchte hier nicht im Detail darauf eingehen, da ich keine Expertin bin. Einige Denkanstösse möchte ich euch dagegen dennoch mitgeben.
Auf viele Faktoren haben wir leider wenig bis keinen Einfluss, so zum Beispiel Entscheidungen von Seiten der Regierungen. Über unsere Ernährung hingegen können wir ganz konkret etwas tun. Laut WWF[6] senkt eine vegane Ernährung den Ernährungsfussabdruck um ganze 40% im Vergleich zu dem Durchschnittsschweizer. Der IPCC Klimarapport von 2014[7] verdeutlicht: die Landwirtschaft hat weltweit einen Einfluss von 24% an den Gesamt-Klimagasemissionen. Der Transportsektor dagegen trägt mit «nur» 14% zu den Emissionen bei.
Natürlich bringt es etwas, auf das Autofahren oder Fliegen zu verzichten oder dies einzuschränken. Es scheint allerdings so, als würde der Umstieg auf eine vegane Ernährung sogar in einem grösseren Ausmasse helfen. Und liegt es nicht nahe, unseren Sprösslingen diese umweltfreundlichere Ernährung von Anfang an ans Herz zu legen?
Mit pflanzlicher Kinderernährung zu verbesserter Gesundheit im Alter?
In der Kindheit wird die Grundlage für eine lebenslange gesunde Ernährung gelegt. Das Prinzip der ersten 1000 Tage besagt dabei, dass diese das zunkünftige Essverhalten besonders prägen[8]. Bekommt das Baby also 5 mal in der Woche seinen Fleischbrei zu essen und werden dem Kind wenig oder gar keine Hülsenfrüchte angeboten, wird dieses in seinem späteren Leben wahrscheinlich ähnlich essen wollen. Vegane Kinder dagegen nehmen im Schnitt mehr gesundheitsfördernde Lebensmittel wie Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse zu sich[9]. Eine überwiegend pflanzliche Ernährung steht im Verdacht, sich positiv auf die Prävention und das Management diverser Zivilisationskrankheiten auszuwirken: so zum Beispiel auf Diabetes mellitus Typ II[10] und Herz-Kreislauf-Erkrankungen[11]. Ausserdem hilft eine pflanzliche Ernährung dabei, ein gesundes Gewicht zu entwickeln. Übergewicht ist leider bereits bei Kindern ein grosses Thema[12] Selbstverständlich sollte eine pflanzliche, allen voran vegane Kinderernährung gut geplant werden. In meinem Post Darf ich mein Kind vegan ernähren? Mythen und Fakten zeige ich auf, dass eine vegane Kinderernährung sicher sein kann, wenn sie gut geplant ist. Unter diesen Umständen liefert sie alle wichtigen Nährstoffe und trägt somit sogar zur Krankeitsprophylaxe bei. Eine Ernährungsberatung stellt sicher, dass du genau Bescheid weisst, was dein Schützling braucht.
[1] https://www.tutoria.de/schule-ratgeber/familienleben/erziehungsstile
[2] https://carnism.org/carnism/
[3] https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/karnismus-die-psychologie-des-fleischkonsums
[4] https://www.philomag.de/lexikon/antispeziesismus
[5] https://www.spiegel.de/kultur/richard-david-precht-ueber-tierethik-voellig-lausige-begruendungen-a-e34d7123-1173-43c0-abf5-b5770e3771a5
[6] https://www.wwf.ch/de/unsere-ziele/vegan-vegetarisch-pflanzenbasiert
[7] https://www.weltagrarbericht.de/themen-des-weltagrarberichts/klima-und-energie.html
[8] https://www.ugb.de/kinder-gesund-ernaehren/ernaehrungserziehung-kinder-brauchen-vorbilder/
[9] VeChi-Youth-Studie im 14. Ernährungsbericht der DGE – VeChi-Youth-Studie
[10] Papakonstantinou et al (2005). Food Group Consumption and Glycemic Control in People With and Without Type 2 Diabetes. Diabetes Care 28, 2539–2540
[11] Steffen et al (2005). Associations of plant food, dairy product, and meat intakes with 15-y incidence of elevated blood pressure in young black and white adults: the Coronary Artery Risk Development in Young Adults (CARDIA) Study. Am J Clin Nutr 82, 1169–1177.
[12] Abarca-Gómez et al. (2017). Worldwide trends in body-mass index, underweight, overweight, and obesity from 1975 to 2016: a pooled analysis of 2416 population[12]based measurement studies in 128·9 million children, adolescents, and adults. The Lancet 390, 2627–2642
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